„Die Beziehung von Staat und Kirche, wie sie im Staatskirchenrecht geregelt ist, wird immer stärker unter Druck geraten.“ Mit dieser Einschätzung zog Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. (Zweiter Senat), ein Resümee seines Vortrags, der er vor mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Mittwoch, dem 4. Juni 2025 im Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf hielt. Anlass dafür war eine Gedenkveranstaltung für Prof. Dr. Rudolf Morsey, der am 14. Mai 2024 im Alter von 96 Jahren verstarb (Würdigung der Görres-Gesellschaft hier). Die Veranstaltung wurde gemeinschaftlich getragen von der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf, der Görres-Gesellschaft sowie der Kommission für Zeitgeschichte, in denen Morsey über Jahrzehnte hinweg wichtige Aufgaben wahrgenommen hatte.
In seinem Vortrag, der unter dem Thema "Vom Staatskirchenrecht zur Religionspolitik: Kooperation oder Konfrontation" stand, schilderte Prof. di Fabio sehr lebhaft die Herausforderungen, vor denen sich die Kirchen in Deutschland gestellt sehen - und vor die damit einhergehend auch das Staatskirchenrecht gestellt ist. Im Anschluss an die Gedanken des Politikwissenschaftlers und Soziologen Charles Taylor beschrieb er die „transzendentale Sehnsucht des Menschen als eine anthropologische Konstante, die, wenn ihr die religiöse Dimension abhandengekommen ist, auf andere Bereiche der Gesellschaft ausstrahlt.“ So sieht di Fabio außerordentlich erfolgreiche „Sinnanbieter“, etwa in der Kima- oder Migrationspolitik, die einer zweckrationalen Ausrichtung von Politik und Gesellschaft bisweilen entgegen stünden. Die Bedeutung des Religiösen fasste di Fabio in die folgende Bemerkung: "Religiöse Fragen sind tief in der Kultur einer Gesellschaft verankert. Die kulturelle Substanz eines Volkes ist genauso wichtig wie seine materielle Substanz."
Mit einem Lebens- und Arbeitsbild Prof. Dr. Rudolf Morseys des Potsdamer Historiker Prof. Dr. Thomas Brechenmacher unter dem Titel „Rudolf Morsey als Historiograph der Ära Adenauer“ hatte die Veranstaltung begonnen. Brechenmacher erinnerte insbesondere an die Editionsleitungen Morseys und die zahlreichen Initiativen wie die „Rhöndorfer Gespräche“, wie auch seinen Einsatz für die Görres-Gesellschaft und die Kommission für Zeitgeschichte. Ein Bonmot Morseys zitierend fasste er dessen immense Lebensleistung zusammen: „Es gibt kein Ende der Geschichte und deshalb auch kein Ende der Arbeit.“
Nach dem Ende der Veranstaltung wurden die Impulse aus den Vorträgen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter Angehörige der Familie Rudolf Morseys, der Familie Adenauer, Kollegen und Schüler Rudolf Morseys, sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Verwaltung, Kultur und Politik, intensiv weiter diskutiert.
Die Görres-Gesellschaft dankt der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf sehr herzlich für die Zusammenarbeit und die Gastfreundschaft an diesem Abend. Gerne werden wir die Zusammenarbeit mit dem Adenauer-Haus fortsetzen!
Biographische Notiz zu Rudolf Morsey:
Professor Dr. Dr. h.c. Rudolf Morsey wurde am 16. Oktober 1927 in Recklinghausen geboren. Nach seinem durch Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft verzögerten Abitur studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, wo er 1955 promoviert wurde. Er habilitierte sich 1965 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Im Jahr 1966 wurde er als Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg berufen; 1970 wechselte er an die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, wo er zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 wirkte – unter anderem als deren Rektor in den Jahren 1972 und 1973.
Wie kaum ein zweiter stand Professor Morsey für exzellente Forschungsarbeiten zum politischen Katholizismus und zur christlich geprägten Demokratie. Er war u.a. Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (München) sowie Mitglied der Kommission für Zeitgeschichte (Bonn), zu deren Mitgründern er 1962 gehört hatte. Er galt als einer der besten Kenner Konrad Adenauers und betreute zusammen mit Hans-Peter Schwarz die Herausgabe von Adenauers Nachlass (Rhöndorfer Ausgabe).
Zentrale Themen der wissenschaftlichen Arbeit Professor Morseys waren der politische Katholizismus und die christlich geprägte Demokratie. Für alle drei Organisationen, die die Veranstaltung durchführen, war Rudolf Morsey von zentraler Bedeutung. Er war von 1977 bis 2003 Vizepräsident der Görres-Gesellschaft und erhielt im Jahr 2003 deren Ehrenring. Im Jahr 1962 war Morsey einer der Mitgründer der Kommission für Zeitgeschichte, der er bis zum Jahr 2022 als Mitglied angehörte. Dem Beirat der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus gehörte er seit dem Jahr 1970 an und saß ihm von 1988 bis 2001 vor
Eine biographische Beschreibung finden Sie auf der Seite der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (hier), dort finden Sie auch das Schriftenverzeichnis der Jahre von 1949 bis 2017. Aus Anlass des 90.Geburtstages Professor Morseys fand am 24. Oktober 2017 im Haus der Geschichte, Bonn, ein Festakt statt, von dem Sie hier Impressionen finden.