Am 15. Dezember 2020 starb kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres der Ehrenringträger der Görres-Gesellschaft Alexander Hollerbach. Hans Maier hat 2011 den Philosophen, Juristen und Historiker anlässlich der Ehrenring-Verleihung eingehend gewürdigt (Jahres- und Tagungsbericht 2011, 9-12). Die Görres-Gesellschaft ehrte damit nicht nur einen langjährigen Leiter der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft (1969-1979), sondern auch einen Wissenschaftler, der sich um die siebte Auflage des Staatslexikons in besonderer Weise verdient gemacht hat.
Wenn in diesen Zeilen des großen Gelehrten Alexander Hollerbach, der seit 1969 an der Freiburger Universität lehrte, gedacht werden soll, dann kommt einem das Wort des Freiburger Dichters Reinhold Schneider aus seinem Tagebuch „Winter in Wien“ in den Sinn, dass es eben die Abschiede sind, die verbinden. Das Abschiednehmen ist verknüpft mit der dankbaren Erinnerung an einen Menschen und Wissenschaftler, der in einer für ihn spezifischen „Kombination von verantwortungsvoller Fürsorge und Freiheit lassender Distanz“ (Alfred Rinken) gewirkt hat. Alexander Hollerbach war eine menschliche wie wissenschaftliche Autorität, dessen ebenso fordernde wie fördernde Strenge dem Ringen um die Sache diente und der beständig auf der Suche nach dem Grund der Dinge gewesen ist. Die Kraft und die Kunst zur Unterscheidung waren Hollerbach ein großes Anliegen, das gepaart war mit der Tugend zu genauem, sorgfältigem, präzisem Arbeiten und Schreiben; Anforderungen, die er an sich genauso stellte wie an andere. Hollerbach war bei allem auch ein Meister der Verbindung von Grundsätzlichem mit Detailproblemen (Waldhoff, in: Der Staat 48 [2009], 137 [139]). Diese Fähigkeit machte ihn zum gefragten Sachverständigen und Berater der Kirchen im Bereich des Staatskirchenrechts. Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit konnte Alexander Hollerbach die Renaissance des Staatskirchenvertragsrechts nicht nur wissenschaftlich beobachten, sondern auch aktiv mitgestalten. Darüber hinaus oblag Hollerbach in den Jahren 1984 bis 1998 die Tagungsleitung der „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche“ (dazu die Laudatio von Heiner Marré, in: Essener Gespräche 33 [1999], 163-166).
Das Oeuvre, Person und Wirken Alexander Hollerbachs kann in diesen wenigen Zeilen des Gedenkens nicht einmal annähernd dargestellt werden. Sehr enge Weggefährten haben Alexander Hollerbach schon in den vergangenen Jahren gewürdigt: Von seinem Studienkollegen und Freund Peter Häberle gibt es eine humorvoll-tiefgründige Rede zum 65. Geburtstag (Kirche und Recht 1996, 115-119), sein eigener akademischer Lehrer Konrad Hesse widmete ihm zum 70. Geburtstag eine nicht minder persönliche Würdigung (Archiv des öffentlichen Rechts 126 [2001], 1-9), die flankiert wurde von der Festschrift „Verfassung-Philosophie-Kirche“, die 2001 von Hollerbachs Schülern herausgegeben worden ist. Beim Kolloquium zum 75. Geburtstag thematisierte Stefan Mückl mit seinem grundlegenden Beitrag „Alexander Hollerbach und das Recht der Staatskirchenverträge“ einen Zentralgegenstand des wissenschaftlichen Arbeitens wie praktischen Wirkens (Ders. [Hrsg.], Das Recht der Staatskirchenverträge, 2007, S. 11-32).
Alexander Hollerbach, der 1956 mit einer rechtsphilosophischen, von Erik Wolf betreuten Arbeit in Freiburg promoviert wurde (Der Rechtsgedanke bei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt am Main 1957) und sich unter der Ägide von Konrad Hesse mit dem Standardwerk „Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland“ (Frankfurt am Main 1965) habilitierte, hat ein immens reichhaltiges wissenschaftliches Werk hinterlassen, das glücklicherweise in den Jahren 2004-2007 in drei Sammelbänden konzentriert zusammengefasst worden ist: „Katholizismus und Jurisprudenz. Beiträge zur Katholizismusforschung und zur neueren Wissenschaftsgeschichte“ (Paderborn 2004), „Ausgewählte Schriften“ (Berlin 2006) sowie schließlich „Jurisprudenz in Freiburg. Beiträge zur Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität“ (Tübingen 2007). Bei seinem 80. Geburtstag 2011 konstatierte Hollerbach: „Ja, es ist an der Zeit, sich zurückzunehmen und das Feld anderen zu überlassen. Deshalb bitte ich Sie, nichts mehr von mir zu erwarten.“ (Schlusswort, in: Robbers [Hrsg.], Gelebte Wissenschaft, Berlin 2012, S. 89 [91]). Alexander Hollerbach hat uns in den letzten beiden Jahren gleichwohl noch mit unerwarteten Publikationen beschenkt: der Monographie „Öffentliches Recht an der Universität Freiburg in der frühen Nachkriegszeit. Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Konrad Hesse am 29. Januar 2019“ (Tübingen 2019) und mit dem gerade erst vor ein paar Wochen erschienenen Beitrag „Rechtsphilosophische Anfänge. Autobiographische Erinnerung – wissenschaftsgeschichtliche Streiflichter, in der Festschrift zu Ehren seines Schülers Gerhard Robbers (in: von der Decken/Günzel [Hrsg.], Staat-Religion-Recht, Baden-Baden 2020, S. 25-45).
Beim Zurückblicken auf die wissenschaftlichen Lebensstationen und Publikationen wird einem immer wieder bewusst, dass man damit allein Alexander Hollerbach, der der „wissenschaftlich-biographischen Erforschung fremden Denkens“ (Peter Häberle) so meisterhafte Abhandlungen gewidmet hat, letztlich nicht gerecht werden kann. Alexander Hollerbach war für uns, die wir auf seinen Schultern stehen, ein Vorbild an Bildung und Haltung. Er nahm – häufig gemeinsam mit seiner Frau – am Universitätsleben teil und war irgendwie präsenter als andere. Seine ebenso charakteristische wie akkurate Handschrift, die spezielle Art, die DinA4-Blätter zu falten – all dies sind so kleine Details, die man gerne erinnert, ebenso die Art und Weise, wie er mit den Seminarteilnehmern nach einer Seminarsitzung in Freiburg noch zusammensaß und sprach. Persönlich hat mich auch sehr beeindruckt, was ich erst wesentlich später richtig registrierte, welch großes Engagement Hollerbach beim universitären Aufbau der Juristischen Fakultät Dresden zeigte und dafür ganz bescheiden und ohne großes Aufsehen Mühen und Widrigkeiten auf sich nahm, indem er – mit einigen anderen Kollegen - in einer Übergangszeit dort selbst Lehrveranstaltungen abhielt. Darauf angesprochen erwiderte er lakonisch, dass er dies für seine patriotische Pflicht gehalten habe. Zu den weiteren Assoziationen gehört die enge Verbundenheit mit der badischen Heimat, die in verschiedenster Weise immer wieder zum Sujet seiner wissenschaftlichen Publikationen wurde. Hollerbach und Freiburg i.Br., die Albert-Ludwigs- Universität – das war zu meiner Studienzeit Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre eng miteinander verknüpft. Bei allen vereinbarten oder zufälligen Begegnungen war deutlich zu spüren, wie sehr Alexander Hollerbach den Menschen zugewandt war. Jeder, der ihn kennenlernen durfte, wird mit eigenen Erinnerungen an die Begegnungen aufwarten können. Selbst wenn wir alle unsere je eigenen Wege gehen müssen - persönliches Leben und denkerisches Wirken Alexander Hollerbachs können Maß und Richtschnur sein, die es immer wieder mal zu vergegenwärtigen gilt. Und insofern sind es eben die Abschiede, die verbinden.
R.i.P.
Prof. Dr. Ansgar Hense
Institut für Staatskirchenrecht
der Diözesen Deutschlands, Bonn