Vom 30. März bis zum 5. April 2023 hielten sich rund zwanzig Mitglieder des Jungen Forums der Görres-Gesellschaft, darunter einige Stipendiatinnen und Stipendiaten des Cusanuswerks, zu einer Studienreise im Heiligen Land auf. Die Reise beleuchtete höchst facettenreich die Geschichte und Konflikte Israels, ihre politische Deutung sowie die Rolle von Religionen und Konfessionen des Christentums im Heiligen Land und ermöglichte Begegnungen mit eindrucksvollen Persönlichkeiten.
Zu Beginn der Studienreise am Donnerstag, dem 30. März, hielt Dr. Georg Röwekamp vom Deutschen Verein vom Heiligen Lande (DVHL) einen Vortrag über die Geschichte des Görres-Instituts in Jerusalem. Da die Studiengruppe im Paulus-Haus des DVHL untergebracht war, auf dessen Territorium sich das Görres-Institut in seiner Anfangszeit befand, bildete dieser Auftakt das willkommene Entree zur Studienreise.
Eine ganz besondere spirituelle Erfahrung erwartete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Frühe des Freitags, als um halb acht Uhr morgens Pater Simeon Gloger von der Dormitio Abtei mit ihnen zusammen die Messe im Heiligen Grab feierte. Danach ging es zur Dormitio Abtei, wo Abt Dr. Nikodemus Schnabel, Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft (JIGG), in seinem einführenden Vortrag einen Überblick über die Religionen im Heiligen Land und die unterschiedlichen Konfessionen des Christentums gab. Bereits hier wurde deutlich, wie komplex sich die politische und religiöse Situation im Heiligen Land darstellt. So wies Abt Nikodemus beispielsweise auf die unhaltbare Situation der verschiedenen christlichen Migrantengruppen in Israel hin, die oftmals unter außerordentlich prekären Arbeitsbedingungen zu leiden und mit politischen und sozialen Repressionen zu kämpfen haben. Eine Einschätzung Abt Nikodemus' zur gegenwärtigen Situation im Heiligen Land gab er unlängst in einem Gespräch mit dem Bayrischen Rundfunk (hier).
Im Anschluss fand in den Räumlichkeiten des Paulus-Hauses ein kleines wissenschaftliches Symposium statt, in dem es u.a. um das aus der Psychologie bekannte "Jerusalemsyndrom" und das Verhältnis des Staates Israel zur russisch-orthodoxen Kirche ging.
Am Freitagnachmittag erlebte die Gruppe, was es heißt, wenn Ramadan und die Vorbereitungen auf das Pessachfest sowie Ostern in Jerusalem zusammentreffen: Hunderttausende Muslimen hatten Menschentrauben vor den Toren der Altstadt gebildet. Ein Durchkommen war undenkbar und so musste der avisierte Besuch des Kreuzweges in der Via Dolorosa entfallen. Stattdessen machten sich Kleingruppen auf den Weg zum christlichen Viertel oder zur Western Wall ("Klagemauer").
Am Samstag, dem 2. April, fuhr die Studiengruppe unter Leitung ihres „Guides“ Usama Nicolai in die besetzten Gebiete bzw. zur West Bank. Zunächst besuchte sie die „Gräber der Patriarchen“, hohe Heilige Stätten des Islam, des Juden- und Christentums. Der anschließende Besuch Bethlehems widmete sich zunächst der Situation christlicher Palästinenser und Pälastinenserinnen. Im christlichen Begegnungszentrum Wi’am wurde sehr deutlich die Situation der palästinischen Glaubensbrüder und -schwestern vor Augen geführt. Das Zentrum befindet sich in unmittelbarerer Nähe einer hunderte Kilometer langen, hohen, bewachten Mauer, die Teil palästinensischer Gebiete von israelisch beanspruchten trennt. Das anschließende Mittagessen fand buchstäblich im Schatten dieser Mauer statt.
Als besonderer und höchst interessanter Glücksfall dieses Tages stellte sich der Besuch des vom Malteserorden geleiteten Krankenhauses „Zur Heiligen Familie“ heraus. Dort finden pro Jahr rund 4.500 Geburten statt. Wohl jedes Mitglied der Reisegruppe wird künftig beim Lied „Zu Bethlehem geboren…“ an den Besuch dieser Geburtsklinik denken, die selbst einen Blick auf die Neugeborenenstation erlaubte und dort auf ein wenige Stunden altes Kind in den Armen der palästinensischen Krankenschwester. In wunderbarer Verbindung damit fand anschließend der Besuch der Geburtskirche in Bethlehem statt.
Am folgenden Palmsonntag besuchte die Studiengruppe zunächst den Palmsonntagsgottesdienst in der Dormitio Abtei. Der Palmsonntag wurde am Nachmittag gekrönt vom gemeinsamen Besuch der Palmsonntagsprozession, die vom Ölberg nach Jerusalem führt. Mehr als zehntausend Katholiken aus der ganzen Welt feierten in dieser Prozession lautstark ihren Glauben, darunter die Gruppe des Jungen Forums. In der Bilderleiste finden Sie auch einen Film vom Einzug nach Jerusalem durch das Löwentor. Ein Interview mit Abt Nikodemus, in dem er unter dem Titel "Christen bestimmen das Straßenbild" den Palmsonntag in Jerusalem beschreibt, finden Sie bei domradio.de (hier).
Der folgende Reisetag führte in das traurigste Kapitel der Geschichte des jüdischen Volkes. Mehr als fünf Stunden verbrachte die Reisegruppe in Yad Vashem, dem Museum, das der Erinnerung an den Holocaust gewidmet ist. Es war den sehr sachkundigen Erläuterungen des Antisemitismusforschers Dr. Marc Neugröschel, der die Gruppe durch Yad Vashem führte, zu verdanken, dass neben der Erinnerung an den Holocaust wissenschaftliche Diskussionen u.a. um historische und soziale Wurzeln des Antisemitismus geführt wurden. Besonders intensiv war die Begegnung mit dem Holocaustüberlebenden Tswi Herschel und seiner Tochter Natali. Herschel wurde als kleines Kind von seinen jüdischen Eltern in die Obhut einer anderen Familie gegeben, kurz bevor die Eltern in ein Vernichtungslager deportiert wurden. Seine Tochter berichtete davon, wie sich die Tragödie der Auslöschung dieser Familie bis in die dritte Generation fortpflanzt und wie auch sie persönlich von Antisemitismus und Anfeindungen betroffen ist. Ein Interview mit Tswi Herschel finden Sie hier.
Abgeschlossen wurde dieser Tag von einer Diskussion mit dem ARD-Korrespondenten Dr. Jan-Christoph Kitzler, der seine Sicht auf den Nahostkonflikt und die höchst umstrittene Justizreform gab, der aber auch sehr persönlich aus seinem Journalistenleben in Israel berichtete.
Am darauf folgenden Dienstag, dem 4. April, standen zwei Begegnungen mit höchsten Würdenträgern der christlichen Konfessionen an. Zunächst traf die Gruppe „Seine Seligkeit“ Pierbattista Pizzaballa, den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem und damit das Oberhaupt der römisch-katholischen Gläubigen im Heiligen Land. Danach folgte die Begegnung mit „Seiner Seligkeit“ Theophilos III., dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem im Griechischen Patriarchat, der „Nummer vier“ der orthodoxen Welt. Beide Begegnungen machten die geschichtlichen Dimensionen der christlichen Konfessionen im Heiligen Land deutlich.
Am Nachmittag ging es nach Tel Aviv, wo die Gruppe vom Deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert, empfangen wurde. Seibert erläuterte die komplexe politische Situation, in der sich Israel gegenwärtig befindet. In der Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern stellte er auch grundsätzlich seine Aufgaben als Botschafter dar. Die Wissenschaftsreferentin an der Deutschen Botschaft, Frau Barbara Seimetz, stellte im Anschluss die Forschungsprioritäten Israels und die Schwerpunkte der deutsch-israelischen Zusammenarbeit vor.
Zum Abschluss dieses Tages besuchte die Gruppe einen von Abt Nikodemus gefeierten Gottesdienst der konkani-sprachigen Inder im römischen Ritus. Damit knüpfte das Besuchsprogramm an den Beginn der Reise an, als Abt Nikodemus über die prekäre Lage der Migrantinnen und Migranten gesprochen hatte. Gespräche mit Angehörigen der migrantischen Gemeinde bildeten den Abschluss dieses Tages.
Eine Führung durch Tel Aviv, in der die Geschichte dieser Stadt und des Landes Israel verdeutlicht wurde, bildete am Mittwoch, dem 5. April, den Abschluss dieser Studienreise, die eine Teilnehmerin mit den Worten zusammenfasst: „Beste Werbung für die Görres-Gesellschaft und ihr Junges Forum.“
Die wissenschaftliche Begleitung dieser Studienfahrt hatte Frau Prof. Dr. Britta Kägler, Historikerin von der Universität Passau, inne. Ein sehr herzliches Dankeschön gilt ihrem außerordentlichen Einsatz! Von Frau Kägler stammt auch der "Reader", der den wissenschaftlichen Hintergrund der Reise bildete und jede Menge wertvoller Informationen zur Geschichte und Gegenwart des Heiligen Landes enthält (hier abrufbar).
Sehr herzlich danken wir Abt Dr. Nikodemus Schnabel und Pater Simeon Gloger vom Römischen Institut der Görres-Gesellschaft (JIGG), das an der Dormitio-Abtei angesiedelt ist. Ihrem Engagement in der Vorbereitung der Reise ist es zu verdanken, dass zahlreiche höchst interessante Begegnungen organisiert werden konnten. Herrn Dr. Rothenbusch vom Paulus-Haus des Deutschen Vereins vom Heiligen Land (DVHL) sowie Herrn Dr. Röwekamp vom DVHL sei ebenso für die großartige Unterstützung der Reise gedankt. Die Reise wurde vom Erzbistum Köln, der Axel-Springer-Stiftung, Berlin, sowie dem Cusanuswerk finanziell unterstützt, wofür ebenfalls sehr herzlich gedankt sei.